Eine Reportage, die ich über meine Erfahrungen auf dem Jakobsweg Via de la Plata geschrieben habe – einer der schönsten Caminos überhaupt!
I will survive!» – Gloria Gaynors Welthit scheppert durch ein Vorort-Café am Rande von Santiago de Compostela in Spanien. «Ich werde überleben!», der Soundtrack passt: Hinter uns liegen 1000 Kilometer zu Fuss quer durch die iberische Halbinsel. Eine blasentreibende Schinderei. Bis zum Ziel sind es nur noch ein paar lächerliche Kilometer, aber anstatt uns zu freuen, sind wir traurig. Die letzten fünf Wochen waren zu schön; so könnte es weitergehen. Die Melancholie des Abschieds versüssen wir uns mit Chocolate con Churros, heisser Schokolade mit fettigem Spritzgebäck. Seelennahrung.
Die Via de la Plata – eine Alternative zum Camino Frances
Unterwegs sind wir auf der Jakobsweg-Variante Via de la Plata, dem Silberweg, von Sevilla in Andalusien zum Wallfahrtsort Santiago de Compostela in Galicien, dem wichtigsten Pilgerziel der Christen neben Jerusalem und Rom. 1985 verlieh die Unesco der Stadt mit 100 000 Einwohnern daher den Titel Weltkulturerbe. Die Gebeine von Jakobus dem Älteren, einem der zwölf Apostel Jesu, sollen hier begraben liegen. Das ist historisch betrachtet zwar fragwürdig, tut der 1200-jährigen Tradition aber keinen Abbruch. So lange schon hoffen Pilger auf Wunderheilungen und die Vergebung der Sünden. Letztere gibt es immer noch – vorausgesetzt, man ist katholischen Glaubens.
Alles, was man braucht, passt in den Rucksack. Das ist Freiheit!
Heute tummeln sich auf den Jakobswegen Wallfahrer, Sinnsucher und Aussteiger. 230 000 waren es 2014, die in Santiago ihr Heil suchten. Aber während sich 70 Prozent über den 800 Kilometer langen Hauptweg Camino Francés von den französischen Pyrenäen hierhin schleppen, sind Jakobswegvarianten wie die Via de la Plata kaum bekannt. Nur 8000 Hartgesottene suchten letztes Jahr authentische Pilgererfahrungen auf dem silbernen Weg.
1000 Kilometer Knochenjob
Die Via de la Plata hat es in sich: 1000 Kilometer, 40 Grad im Schatten, 32 Tage. Knapp fünf Wochen täglich derselbe Ablauf: aufstehen, wandern, Zmorge, wandern, Zmittag, Siesta, wandern, Herberge suchen, Znacht, schlafen. Was langweilig klingt, ist Erholung pur. Keine Entscheidungen treffen, keine E-Mails checken, einfach loslaufen. Arbeits- und Karrierestress lösen sich im Nichts auf. Und das Glück ist manchmal nur ein schattiges Bäumchen oder ein Topf Nudeln. Alles, was man braucht, passt in den Rucksack. Das ist Freiheit!
Doch neben Romantik und Seelenmassage ist die Via de la Plata auch harte Knochenarbeit – besonders, wenn man im Hochsommer unterwegs ist. In Andalusien und der Extremadura verdörrt dann das Land in der sengenden Hitze. Da leiden auch die schwarzen Pata-Negra-Schweine, die in grossen Herden im Schatten der Steineichen dösen, und die Kampfstiere, die uns argwöhnisch beäugen.
Das zusätzliche Schleppen von literweise Wasser im ohne- hin schon schweren Rucksack geht an die Substanz. An manchen Tagen sind es mehr als 35 Kilometer bis zur nächsten Herberge. Mal ist dies eine frühere Schule oder ein Zimmer beim örtlichen Pfarrer, mal eine topmoderne Anlage, die mit EU-Geldern finanziert wurde. Wer sich gerne ins Mittelalter beamt, klopft bei einem Kloster an.
Pilgern? Was bringt das in einer Zeit, in der kaum einer an Wunder und göttliche Zeichen glauben mag? Pilgern bedeutet für uns: sich durchbeissen, die eigenen Grenzen ausdehnen. Und sich auch die Frage nach dem höheren Sinn stellen. Das bleibt auf dem Jakobsweg nicht aus.
Dennoch: Das Leben auf dem Pilgerweg entfaltet eine besondere Spielart des Glücks, die jenseits körperlicher Anstrengung liegt. Das kann süchtig machen – genauso wie Chocolate Con Churros. Wir bestellen eine weitere Portion.
Nein, wir wollen nicht in der Kathedrale von Santiago ankommen. Denn danach kommt es wieder, das burnoutgefährdete Leben. Aber der Jesus, den ich im Kloster Oseira von einem Mönch geschenkt bekommen habe, grinst mich jeden Tag an, als wolle er sagen: «You will survive!»
2 Comments
Hallo, danke für die tollen Beiträge! Mich würde zum einen interessieren, wieviele Stunden du im Durchschnitt täglich unterwegs warst und zum anderen, wie bergig der Weg war. Gab es viel Flachland oder ging es auch viel und steil bergauf?
Ich bin noch ein Pilger-Anfänger und werde definitiv erst einmal mit kürzeren, einfacheren Routen starten, aber irgendwann wäre der Via de la Plata schon eine Route auf meiner Wunschliste!
Liebe Grüße, Maddy
Liebe Maddy,
danke für deinen Kommentar. Die Plata hat ein angenehmes Höhenprofil. Weite Strecken sind sehr flach. In Galicien wird es hügeliger, aber das ist alles eher moderat. Dasgleiche gilt auch für den Camino Frances. Die Steigungen sind moderat und etwa 250 Kilometer (in der Meseta) sind falch wie eine Tortilla 🙂 Liebe Grüsse, Christian